Evaluation
Das Projekt Miniphänomenta wird seit seiner Entwicklung wissenschaftlich begleitet. Die Rückmeldung vieler Partner ist, dass sie selten ein so umfangreich, wissenschaftlich begleitetes Projekt erlebt haben. Der Umfang der Ergebnisse zum didaktisch, pädagogischen Anteil des Projektes soll in weiterer Folge kurz in Auszügen dargestellt werden. Eine ausführlichere Darstellung finden Sie in unserem ausführlichen Konzept oder in den im Anschluss aufgelisteten Studien zum Projekt.
F. Sauer hat in der Arbeit "Der Einfluss offener Experimentierstationen auf das naturwissenschaftlich technische Lernen im Primarbereich“ nachweisen können, dass Kinder in allen Altersgruppen der Grundschule in der Lage sind, sich die Experimentierstationen zu erschließen. Überwiegend experimentieren sie in Gruppen, sie suchen dabei das Gespräch mit ihren MitschülerInnen und scheuen sich, ihrer Lehrerin oder Lehrer zu fragen.
Bei etwa 75 % der Schülerinnen und Schüler konnten wir einen erfolgreichen Akkomodationsprozess beobachten. Sie kamen auf eine Station zu, hatten Fehlvorstellungen und falsche Erwartungen, waren überrascht und begannen handelnd und experimentierend zu denken.
Zum Ende der 2-wöchigen Experimentierzeit konnte dann mehr und mehr beobachtet werden, dass die Kinder an den Stationen, an denen verstanden worden war, nun spielten. Sie versuchten die Materialien in anderer Weise zu nutzen und waren dabei überwiegend außerordentlich vorsichtig und darum bemüht nichts zu zerstören.
Zusammenfassend kann aus den Verhaltensbeobachtungen geschlossen werden, dass die interaktiven Experimentierstationen nicht nur einen emotionalen Zugang zu den Naturwissenschaften öffnen, sondern auch das selbständige experimentelle Tun bei den Schülerinnen und Schülern fördern.
Völlig selbstständig, frei und interessengeleitet konnten die Schülerinnen und Schüler am Ende der Experimentierzeit etwa zwei Drittel der Stationen fachlich richtig erläutern. Die Interviews und Bilder, die die Kinder malten und mit Text versahen, zeigten, dass sie in sehr kreativer Weise eigene prägnante Worte im Zusammenhang mit der Erklärung naturwissenschaftlicher Phänomene fanden. Sauer konnte 3 Monate nach den Experimentierphasen Kinder erneut befragen und fand, dass zwischen 80 % und 90 % der Inhalte sachgerecht wiedergegeben werden konnten.
Bezogen auf die ebenfalls untersuchten LehrerInnen in den Schulen waren die Ergebnisse eher erschreckend. Stellvertretend steht eine Aussage, die vor Beginn des Projektes erhoben wurde:
„Physik und Chemie kommen in meinem Sachunterricht nicht vor, außerdem könnte ich auch keine Versuche machen, davor habe ich Angst“.
In der eigentlichen Experimentierzeit beobachteten wir, wie die Lehrerinnen und Lehrer zaghaft aber zunehmend selbst auf die Experimente zugingen. Sie wunderten sich, wie ungezwungen die Kinder experimentierten und berichteten, dass die Kinder ihnen keine Ruhe mehr gelassen haben und am liebsten auch in den Stunden an die Versuche herangegangen wären.
Schließlich stellten wir fest, dass tatsächlich durch den Impuls der Miniphänomenta zunehmend experimentelle naturwissenschaftliche Verfahren in den Unterricht einbezogen wurden. In einer Elternbefragung wurden die Aussagen der Kinder weitgehend bestätigt. Zu Hause haben die Kinder von den Experimentier-Stationen erzählt. Fast 90 % stellten ihren Eltern die Experimente als spannend und positiv dar. Über die Hälfte der Eltern meinten nach dem Erleben der Miniphänomenta, dass ein solches Experimentierfeld eine ständige Einrichtung an der eigenen Schule sein sollte. 70 % meinten, solche Stationen müssten auch im Unterricht genutzt werden.
Im Jahr 2007 konnte N. Öhding durch eine umfassende Untersuchung nachweisen, dass Miniphänomenta in den beteiligten Schulen überwiegend eine überzeugende Eigendynamik gewonnen hatte.
Die Experimentierstationen wurden von den Lehrerinnen und Lehrern zu über 90 % als sehr starke oder starke Bereicherung der Pausen erlebt. Die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrern wurde von über 60 % positiv beziehungsweise sehr positiv eingeschätzt. Und bezogen auf die Wirksamkeit des freien Experimentierens an den Stationen stellten die Lehrkräfte fest, dass Kinder dort überwiegend Bezüge zu Alltagsphänomenen herstellen konnten, dass das Lernen sehr nachhaltig war und die Kinder mit äußerst hohen großen Spaß experimentierten. Immer wieder wurde dabei die Schulung produktiven Zusammenarbeitens hervorgehoben. Zu unserer Freude stellten die Lehrkräfte zu etwa 80 % fest, dass die Eltern bereit waren, Stationen zu bauen.
Der Interessenbegriff ist für die Beurteilung des Projektes “Miniphänomenta” ein zentraler Punkt.
In seiner Studie „Interessengenese durch Interaktion“ begleitete S. Sommer 2000 Schülerinnen, Schüler und Eltern an vier Grund- und 10 weiterführenden Schulen, die über mehrere Jahre am Projekt Miniphänomenta teilgenommen haben. Er untersuchte ihr Interesse an Inhalten und Tätigkeiten der Physik, ihre Einstellung, und ihr Selbstkonzept.
Die TeilnehmerInnen der Studie wurden in einem zweistufigen quasiexperimentellen pre/post Design mit follow-up Erhebungen und baseline und single post Design mit baseline empirisch untersucht.
Schülerinnen und Schüler, die über zwei Wochen am Projekt Miniphänomenta teilgenommen haben, zeigen daraufhin auch längere Zeit ein größeres naturwissenschaftliches Interesse als Schülerinnen und Schüler, die nicht am Projekt teilgenommen haben. Speziell über kurze Zeiträume zeigen sich Unterschiede zu MitschülerInnen, die sich allerdings im Laufe eines halben Jahres angleichen. In der 5. Klassenstufe zeigen diese Schülerinnen und Schüler weiterhin ein deutlich höheres Interesse an Tätigkeiten, die mit Forschen, Experimentieren und Physikinhalten in ihrer Freizeit zu tun haben. Die Mittelwerte der Variablen zeigen sich signifikant verschieden zu den Kontrollgruppen.
In Klasse 5 zeigt sich vor allem das Interesse an Tätigkeiten, die mit Forschen, Experimentieren und Physikinhalten in der Freizeit hoch bis höchstsignifikant verändert. In Klasse 6 gilt dies analog. Die Schülerinnen und Schüler geben in den Umfragen speziell häufiger an, dass sie sich in Ihrer Freizeit mit naturwissenschaftlichen Inhalten z.B. Fernsehsendungen auseinandersetzen sowie sich mit Freunden in ihrer Freizeit über die Naturwissenschaften und Technik austauschen.
Empirisch lassen sich diese deutlichen Veränderungen mit Effektstärken ausdrücken. Für alle beschriebenen Veränderungen gilt: Die Miniphänomenta hat auch noch in der 5. und 6. Klassenstufe einen mittleren Effekt auf das Interesse an Forschen, Experimentieren und Freizeitinteressen!
Zusätzlich wurden in der 6. Klassenstufe weitere Variablen erhoben. Es zeigt sich auch das Interesse der Schülerinnen und Schüler an Themen der Physik mit leichtem Effekt verändert. Die Einstellung zum Fach Naturwissenschaft zeigt sich mit mittlerem Effekt verändert. Schülerinnen und Schüler beschreiben den Begriff “Naturwissenschaft” deutlich häufiger mit den Wörtern “nutzbringend, verständlich, begeisternd, spontan, wichtig und interessant” und vor allem weniger “anstrengend”, als MitschülerInnen, die nicht mit der Miniphänomenta in der Grundschule gearbeitet haben.
Als ausdrucksstärkstes Ergebnis der Miniphänomenta zeigt sich in der 6. Klassenstufe, dass Schülerinnen und Schüler, die über mehrere Jahre am Projekt teilgenommen haben, sich deutlich positiver in ihren Leistungen im naturwissenschaftlichen Fach einschätzen, als ihre MitschülerInnen - ihr fächerspezifisches Selbstkonzept ist höchstsignifikant verändert gegenüber anderen MitschülerInnen, was einem sehr starken Effekt über dem Wert 1 entspricht.
Diese Selbsteinschätzung spiegelt das Leistungsvermögen der untersuchten Schülerinnen und Schüler in den naturwissenschaftlichen Fächern. Als Prädiktor schulischer Leistungen ist dieses Bild deutlicher geeignet Kompetenzen und Leistungen vorherzusagen, als Noten oder externe Beurteilungen. Es ist also vorsichtig davon auszugehen, dass Miniphänomenta Schülerinnen und Schüler höhere Leistungen in den naturwissenschaftlichen Fächern in der Orientierungsstufe erreichen können. Ergebnisse aktueller Forschung, z.B. bei John Hattie bestätigen uns, dass das Selbstvertrauen in die eigene Leistung im Fach zu besseren Ergebnissen in den Schulen führen kann.
Wichtig ist deutlich zu machen, dass diese Effekte nur gesichert bestätigt werden können, wenn die Schülerinnen und Schüler über einen Zeitraum von mehreren Jahren am Projekt teilnehmen konnten. Die Wirksamkeit der Miniphänomenta ist also stark an die Dauer des Projekts an den Schulen gekoppelt.
Zusammenfassung und Studienlage
Stehen die Stationen der Miniphänomenta im Schulflur zur Verfügung, spielen, forschen, experimentieren und lernen Grundschüler mit hohem Engagement und viel Spaß. In fast allen Fällen kommt es zu einer bemerkenswerten Lerntiefe und prägenden Erfahrungen: auch nach vielen Monaten können die Phänomene sachlich angemessen dargestellt werden. Die Kinder gewinnen die Fähigkeit, eigene Fragen zu formulieren und gemeinsam mit anderen die Antworten zu suchen. Sie erleben die eigene Forschungskompetenz, Selbstwert und Interesse und öffnen sich Problemen aus Natur und Technik.
Die Experimentierstationen der Miniphänomenta können von ungeübten Müttern und Vätern problemlos nachgebaut werden. Eltern erleben den Bau als ein soziales Ereignis, entwickeln Werkstolz und beteiligen sich aufgrund eines allgemeinen Engagements. Das eigene Kind als „Nutznießer“ steht dabei nicht unbedingt im Mittelpunkt.
Lehrerinnen und Lehrer sind vielfach davon überzeugt, dass das interessengeleitete, selbstgesteuerte Experimentieren, wie es mit der Miniphänomenta stattfindet, sinnvoll ist. Sie selbst empfinden den Bereichen Physik und Chemie gegenüber anfangs aber eher Ablehnung. Die Schulatmosphäre allerdings ändert sich mit der Miniphänomenta hin zur Kooperation von Eltern, Lehrern und Kindern, und in dieser offeneren Atmosphäre wächst die Wahrscheinlichkeit, dass naturwissenschaftlich-technisch orientierte Interessen der Kinder von den Lehrerinnen und Lehrern aufgegriffen und zum Unterrichtsgegenstand gemacht werden.
- L. Fiesser, MINIPHÄNOMENTA, 52 spannende Experimente für den Schulflur und das Klassenzimmer
- S. Holst:, Entwicklung und Evaluation interaktiver Experimentierstationen, Dissertation Flensburg 2005
- F.Sauer, Der Einfluss offener Experimentierstationen auf das naturwissenschaftlich-technische Lernen im Primarbereich, Dissertation, Flensburg 2005
- W.John, Das Engagement von Eltern an einem Schulprojekt und dessen Wirkung auf das Gesamtsystem Eltern, Schüler, Schule (Lehrer) anhand des Projekts MINIPHÄNOMENTA an der Grundschule Adelby im Sommer 2004. Erste Staatsarbeit, Flensburg 2005
- F. Schließmann, Informelles Lernen an interaktiven Chemiestationen im Science-Center, Dissertation Flensburg 2005
- S. Asmussen, Interaktives Lernen an Stationen im Primarbereich – eine zweistufige quasiexperimentelle Evaluationsstudie der Langzeitwirksamkeit eines naturwissenschaftlichen Bildungsprojektes, Dissertation Flensburg 2007
- N. Öhding, Interaktive Stationen im Elementarbereich, Hamburg 2009
- S. Sommer, Interessengenese durch Interaktion – Das Interventionsprojekt MINIPHÄNOMENTA in quasiexperimenteller Langzeitevaluation, Dissertation Universität Flensburg 2011
- M. Moskopp, Überprüfung des Konzepts der MINIPHÄNOMENTA im Hinblick auf Förderung des selbständigen Lernens im naturwissenschaftlichen Sachunterricht, Schriftliche Hausarbeit, 2008
Die ausgewählten Studien stellen nur einen kleinen Einblick dar und unser Überblick darf verkürzt und summativ aufgefasst werden. Vieles gäbe es noch im Detail über die Miniphänomenta zu sagen. Möchten Sie weitere Informationen haben? Wir empfehlen einschlägige Suchmaschinen oder Sie schreiben uns.