Didaktische Einordnung für Lehrkräfte

Die Ideen...

... der Miniphänomenta sind seit über 40 Jahren in der Entwicklung und Umsetzung – ein Zeitraum, in dem viele pädagogische Trends und Reformen die Bildungslandschaft verändert haben. Die Miniphänomenta ist ihren didaktischen Wurzeln treu geblieben, hat sich aber dennoch stetig weiterentwickelt. Um pädagogische Fachkräfte vor Ort zu unterstützen, wenn Unklarheiten oder Fragen zu unseren Konzepten aufkommen, haben wir diese einfache Übersicht entwickelt. Sie gibt in sehr reduzierter Form wieder, was wir unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern in unseren Fortbildungen vermitteln wollen. Viel wichtiger als theoretische Inhalte sind uns jedoch die praktischen Erfahrungen, die manches Konzeptstück erst durch das Erleben verständlich machen. Für weitergehende Fachfragen empfehlen wir unsere Evaluationsergebnisse auf unserer Internetseite und Studienergebnisse im Netz.

Spannungsfeld Bildung

„Kleine Klassen bringen nichts, offener Unterricht auch nicht. Entscheidend ist: der Lehrer, die Lehrerin. Das sagt John Hattie.“ (Spiewak, 2013)

Schule und außerschulische Bildungsangebote waren schon immer Ausdruck gesellschaftlicher Umgebungsfaktoren. Außerschulische Bildungsangebote entwickelten sich unter dem Eindruck mangelnder Kompetenzen für den Arbeitsmarkt im Laufe der 80er- und 90er-Jahre, vor allem aber mit dem „PISA-Schock“ der frühen 2000er-Jahre. Dieser offenbarte insbesondere im MINT-Bereich Schwächen, die sich nicht nur auf Kompetenzen, sondern auch auf fehlendes Interesse bezogen. PISA-Studien zeichnen von 2006 über 2016 bis heute ein ähnliches Bild: Gerade hochkompetente Jugendliche zeigen wenig Interesse und Freude an der Beschäftigung mit Naturwissenschaften.

Eine Vielzahl außerschulischer Lernorte entstand, darunter Science Center, Schülerlabore und später Schülerforschungszentren. Diese verlagern ihren Fokus von traditionellen, formellen Unterrichtsformen hin zu prozeduralen, kompetenzorientierten Methoden und füllen damit erkannte Lücken in der schulischen Bildung. Zugleich entwickelt sich in der Gesellschaft langsam ein neues Bild des „Lehrers“, und in den Fachdidaktiken wird die Rolle der Lehrenden diskutiert. Müssen sie Lernprozesse nur moderieren oder aktiv anleiten? Die Meta-Meta-Analyse des Bildungsforschers John Hattie trägt diese Diskussion bis heute weiter. Je nach eigener Sichtweise wird sie unterschiedlich beantwortet, manchmal auch (zu) sehr zugespitzt, wie das oben angeführte Zitat aus der öffentlichen Debatte zeigt.

Wir bei der Miniphänomenta sind sehr erfolgreich darin, das klassische Bild der anleitenden Lehrperson aufzubrechen, indem wir die Lehrenden weitestgehend aus dem Lernprozess entfernen und einen neuen, selbstbestimmten Lernraum schaffen: den Schulflur! Für Lehrkräfte ist dieser Rollenwechsel nicht immer sofort nachvollziehbar. Er schafft jedoch Freiraum für ein neues Rollen- und Prozessverständnis in unserem etwas anderen Lernfeld. Einen in seltenen Fällen gefühlten Widerspruch zu den großen Bildungsstudien können wir leicht entkräften. 

Lernen mit der Miniphänomenta

„Staunen entsteht durch den Widerspruch zwischen einer neuen Erfahrung und der eigenen kognitiven Struktur.“ (Jean Piaget)

„Das ist ja schön, wie die Kinder in der Miniphänomenta spielen, aber lernen die auch etwas?“ Mit solchen Vorurteilen und Kurzschlüssen werden wir in unserer Arbeit gelegentlich konfrontiert. Die konzeptionellen Grundlagen der Miniphänomenta gehen auf Arbeiten des Pädagogen Martin Wagenschein ebenso zurück wie auf Jean Piaget und die praktischen Arbeiten von Hugo Kükelhaus. Elemente unseres Konzepts finden sich in Schülerlaboren, Initiativen zur Förderung experimenteller Kompetenzen oder unter den Begriffen des selbstgesteuerten, interaktiven und forschenden Lernens.

Mithilfe etablierter Modelle lassen sich die Kernelemente unseres Konzepts anschaulich verdeutlichen:

  • Exemplarisches Lernen: Es gibt keine festen Lehrpfade, sondern Phänomene, von denen aus beliebige Wege durch die Physik gegangen werden können.

  • Genetisches Lernen: Die Entwicklung von Wissen, also die „Hermeneutik“ des Wissensaufbaus, steht im Mittelpunkt.

  • Sokratisches Lernen: Wir unterstützen eine fragende, entwickelnde Kommunikation zwischen den Schülerinnen und Schülern.

  • Akkomodationsprozesse: Kognitive Widersprüche und Aktivierungen fördern Neugier, kritisches Denken und die Anpassung des eigenen Weltbildes.

Ein institutioneller Blick auf den Unterricht unterscheidet zwischen Sicht- und Tiefenstrukturen im Zusammenhang mit dem formellen Lernen. In manchen Punkten überschneidet sich das Lernen an der Miniphänomenta mit den drei Dimensionen Klassenführung, kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung, in anderen Aspekten unterscheidet es sich deutlich.

Im traditionellen Unterricht bezeichnet man die Fähigkeit einer Lehrkraft, den Unterricht in die gewünschte Richtung zu steuern, als Classroom-Management. In der Miniphänomenta liegt der Fokus auf dem forschenden Lernen, wobei die Klassenführung größtenteils in den Händen der Gruppe liegt. Daher nutzen wir auch Pausen oder den Ganztagsbereich für diese eher informelle und intrinsisch motivierte Lernform.

Die kognitive Aktivierung spielt sowohl im traditionellen Unterricht als auch in der Miniphänomenta eine zentrale Rolle. Sie erfolgt vorrangig durch das Phänomen selbst, während Vorwissen eine untergeordnete Rolle spielt. Im Sinne Wagenscheins begrüßen wir es, wenn Lehrende sich gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern auf den Weg zu neuem Wissen machen.

Die konstruktive Unterstützung durch die Lehrkraft zeigt sich in der Miniphänomenta vor allem durch Zurückhaltung. Impulse werden gezielt gesetzt, um die Selbstständigkeit der Lernenden zu fördern.

Diese Form des Lernens kann für manche Bildungsfachkräfte eine Herausforderung darstellen, doch die positiven Erfahrungen aus unseren Studien und der Praxis bestärken uns in unserem Ansatz.

Manche pädagogischen und didaktischen Ideen unseres Konzepts gehen eine gute Zeit zurück, sie haben aber gerade mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen nicht an Gültigkeit verloren und ihren Erfolg für uns über mehr als vier Jahrzehnte, die unser Ansatz besteht in Science Centern, Museen, Initiativen, Schülerlaboren und in Schulen weltweit hinreichend unter Beweis gestellt.
 

Schwerpunkte und Effekte

Die Miniphänomenta sowie ihr „großer Bruder“, die Phänomenta, wurden von Beginn an durch Forschungsarbeiten in der Physikdidaktik der Universität Flensburg evaluiert. Viele dieser Studien untersuchen insbesondere die Persönlichkeitsentwicklung und Kompetenzförderung von Schülerinnen und Schülern.

Unsere Ziele und Effekte sind vielfältig:

  • Förderung experimenteller Kompetenzen (gemäß KMK-Bildungsstandards): Schülerinnen und Schüler lernen, Beobachtungen zu machen und Vermutungen aufzustellen.

  • Motivation und Teamarbeit: Diskussion, Zusammenarbeit und Freude am Experimentieren sind weitere positive Ergebnisse.

  • Interessen- und Selbstkonzeptentwicklung: Die Miniphänomenta fördert nachweislich Interessen und Persönlichkeitsmerkmale.

Die Hattie-Studie liefert Effektstärken für verschiedene Einflussfaktoren auf den Lernerfolg. Besonders relevant für uns sind die Einflussfaktoren mit den höchsten (metrisch vergleichbaren) Effektstärken, die in Hatties Ranking die Plätze 1 und 2 einnehmen:

  1. Selbstbeurteilung der eigenen Leistung: Kinder und Jugendliche (und auch Erwachsene) benötigen Erfolgserlebnisse zum Lernen! Das Lernen in der Miniphänomenta fördert Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten,individuelle Erfolgsmomente und Kompetenzerleben. Diese sind entscheidend für den Lernerfolg und die motivationale Entwicklung.

  2. Piaget-orientierte Lernförderung: Kinder und Jugendliche (und auch Erwachsene) sind in der Erstbegegnung überwiegend nicht formale sondern konkret operationale Denker, wir möchten ausprobieren, bevor wir abstrakt über etwas nachdenken oder diskutieren. Das Lernen in der Miniphänomenta steht für addressatengerechte Lernangebote, also konkret-operationale Auseinandersetzungen und das „Begreifen“ im Sinne von „Greifen“, stehen im Vordergrund und vor formaler und abstrakter Kommunikation. Erfahrungsgetragene Alltagssprache steht vor leeren Worthülsen der Fachsprache.

Unser Ziel ist es nicht, den traditionellen Unterricht zu ersetzen, sondern ein ergänzendes Angebot bereitzustellen, das Aspekte des Unterrichts fördert, die aus verschiedensten Gründen zu wenig Raum im Schulalltag finden. Wir bewegen uns dabei neben dem tradierten Unterricht, was aber nicht ausschliesst, das unsere Konzepte und Inhalte auch dort einen Platz finden.

Viel mehr gäbe es zu erzählen, experimentelle Kompetenzen und Interessen sind nur zwei Schwerpunkte.
So stehen die Ideen der Miniphänomenta auch für Demokratieförderung und die Förderung einer kritischen, erfahrungsbasierten und forschungsmethodisch orientierten Haltung.
Studien zur Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens bei Kindern empfehlen frühe Interventionen, Förderung des „Bildungsniveaus" und Bewusstseins der Eltern und Betreuenden in Institutionen, gute Ausgangsbedingungen in Schulen und spezielles Training von wissenschaftsbezogenen, forschenden Kompetenzen für Eltern und Kindern.  

Mit der digitalen Plattform "Grenzenlos Experimentieren" haben wir in der Coronazeit unser Konzept in den digitalen Bereich ausgeweitet. Dort leiten Dozentinnen und Dozenten Schülerinnen und Schüler aus Deutschland und der Welt mit einfachsten Materialien beim Entdecken von Phänomenen in ihrem Haushalt an.

„Lutz Fiesser ist ein engagierter Verfechter des selbstbestimmten Lernens in Naturwissenschaft und Technik. Wir freuen uns außerordentlich, dass sein Ansatz, Kinder Fragen stellen statt Formeln auswendig lernen zu lassen, nun die höchste Anerkennung erfährt.“
(Thomas Lambusch)

Weitere Inhalte

In unseren Fortbildungen behandeln wir die oben dargestellten Aspekte genauer im Rahmen eines Kurzvortrages und in Gesprächen mit den Teilnehmenden. Wichtiger ist uns aber die obigen Prinzipien vorzuleben und erfahrbar zu machen. 

Unsere Fortbildungen zeichnen sich daher durch einen hohen praktischen Anteil aus, in dem wir Exponate selber entwickeln lassen und Kompetenzzuwachs als Werkstolz erlebbar machen und in denen gemeinsamer, wertschätzender Austausch in entspannter Atmosphäre möglich wird.

Wir vermitteln didaktische Prinzipien u.a. in einer Exkursion durch die erstellte Ausstellung und einem gemeinsamen genetischen Gespräch.
Wir vermitteln Grenzen und Möglichkeiten des forschenden Lernens in Experimenten mit Alltagsmaterialien und in anschließenden Onlinefortbildungen auf Grenzenlos Experimentieren.
Wir setzen darauf, dass Erkenntnisse und Erfahrungen für unsere Teilnehmenden, ebenso wie für unsere Schülerinnen und Schüler nicht mit einem "Nürnberger Trichter" in langer Theorie erzählt wird sondern in eigener Tätigkeit und im Austausch miteinander erfahrbar wird.

Wertschätzung, Unterstützung, Passung, Freiheit und Partiziptation sind sicherlich die Grundlage für die stets überaus positiven Rückmeldungen und Bewertungen, die wir erhalten.

Jede Schule hat danach die Möglichkeit die Miniphänomenta als Ausleihe für zwei Wochen vor Ort mit den eigenen Schülerinnen und Schülern zu erleben. Die individuellen und passgenauen Erfahrungen in dieser Zeit sind besonders nachhaltig und treiben die überwiegende Zahl der Schulgemeinschaften dazu an das Experimentierfeld dauerhaft für die eigene Schulgemeinschaft anzuschaffen.

Auch beim Nachbau der Exponate unterstützen wir die Schulgemeinschaft soweit, dass der Fokus sich lediglich auf die pädagogische Arbeit legen kann. In weiteren Fortbildungen für den Ganztagsbereich bieten wir an einen Fundus an Experimenten und Phänomenen sowie Methoden für forschendes Lernen zu vertiefen, Onlinefortbildungen auf Grenzenlos Experimentieren ergänzen dies. Engagement der Fachkräfte unterstützen wir auch danach, wenn es um Implikation in Curricula, weitere Vorträge und Fortbildungen, Evaluationen oder Kooperationen geht.

Am Ende des Konzepts steht eine Schulgemeinschaft, die Phänomene und Experimente in ihren Schulalltag integriert und in dem wenigstens in Phasen Freiräume für selbstgesteuertes, forschendes und interaktives Lernen vorhanden sind.

"Rettet, die Phänomene!" und "Verstehen ist ein Menschenrecht!" so lauten zwei Zitate Martin Wagenscheins, die unsere Arbeit sehr gut zusammenfassen, es sind aber die engagierten Menschen mit denen wir jeden Tag zu tun haben und die Geschichten von fröhlichen Kindern, die uns bei unserer Arbeit antreiben.